Gegen das Schweigen schreiben

Artikel geschrieben von Halrun Reinholz.

Eva Filips erschütternder Roman zur Aufarbeitung stalinistischer Willkür in Rumänien

 

Im Jahr 1956 ist Daniel Stein Student  an der Temeswarer Chemiefakultät.  Ohne Vorwarnung wird er eines Tages an der Uni  verhaftet. Das ist der Auftakt einer Odyssee, die mit einem Schauprozess wegen „Nichtanzeige staatsfeindlicher Umtriebe“ nur ihren skurrilen Anfang findet und den Protagonisten über drei Jahre durch rumänische Gefängnisse und Arbeitslager führt. Schonungslos, doch weitgehend unpathetisch  verwebt sie das Schicksal Daniels mit den unterschiedlichen Lebensläufen anderer Mitgefangener und zeichnet damit ein schauriges Panorama stalinistischer Willkür, die von skrupelloser Menschenverachtung  geprägt ist. Bei allen Unterschieden zwischen den Gefangenen –  der Gefängnisalltag bringt einen  Zusammenhalt, der sie über die Demütigungen aufrecht erhält und auch Daniel die Odyssee schließlich überleben lässt. Mit tiefen Narben zwar, doch auch mit dem Vorsatz, darüber zu berichten und nichts zu verschweigen.

Daniel Stein steht für Johannes Waldmann, einen Bekannten der in Arad  geborenen Schriftstellerin Eva Filip. Sie hat  aus dessen traumatischen  Erlebnissen  ihren Debüt-Roman  gemacht.  Und dennoch ist es nicht einfach  nur eine nacherzählte persönliche Geschichte. Durch die weiteren Personen, die mit Daniels Schicksal verwoben sind, ergibt sich ein Panorama des Widerstands gegen Willkür und Brutalität  – Widerstand durch geistige Stärke, durch den Glauben an Kultur, Zivilisation und Menschlichkeit, durch praktische Nächstenliebe und gegenseitige Hilfe.  „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd er in Ketten geboren.“ Dieses Schiller-Zitat stellt Eva Filip ihrem Buch  gleichsam programmatisch voraus. Und gleich im ersten Kapitel, als Daniel vor den Augen seines Professors verhaftet wird, sagt dieser (in der Annahme, dass der Besuch der Milizionäre ihm gilt): „Es gibt nichts, was nicht durch Verachtung überwunden werden kann“. Solche Worte sind es, die Daniel auch in den schlimmsten Momenten am Leben halten.  Und die Erinnerung an Erlebnisse durch Musik, Literatur, Kunst und Philosophie, die sich aus seinem Gedächtnis abrufen lässt und die es ihm erlaubt, in eine Parallelwelt einzutauchen. Er ist dabei nicht allein. Etliche der Mitgefangenen sind Intellektuelle – Hochschulprofessoren, Pfarrer  verschiedener Konfessionen, ein Arzt oder der begnadete Musiker Erich. Andere sind aus praktischen Gründen Gegner des Regimes – weil  sie enteignet wurden oder weil sie, wie der Banater Schwabe Michael, über die Grenze hatten fliehen wollen. Obwohl Daniel immer wieder in andere Gefängnisse gebracht wird und schließlich im Lager auf der „Großen Donauinsel“ landet, tauchen die gleichen, oder auch neue  Weggefährten  auf und es bieten sich kleine, doch gut genutzte Freiräume zum intellektuellen Austausch. Eine Schlüsselrolle spielt der Dichter Ovidiu, Sproß einer Adelsfamilie, der  die „Akademie“ der Gefangenen gründen hilft – eine Gesprächsrunde (im Stehen!), wo die Gefangenen gegenseitig über Themen der Philosophie, der Geschichte, der Kunst  aus dem Gedächtnis dozieren und sich austauschen, gleichsam  als Strategie gegen die Verblödung.  Daniel erteilt einem Mitgefangenen auch „Englischunterricht“, was ihm zum Verhängnis wird, als ein Wächter dies als „imperialistischen Akt“ zur Anzeige bringt.  Die Parallelwelt der Feinsinnigen wird immer konterkariert von der Realität des ständigen Hungers, der Kälte, der Dunkelheit, der rohen Brutalität und der permanenten körperlichen Gewalt, der sie ausgesetzt sind.  Daniel, der eine ausgebildete Singstimme hat und Klavier spielt, rettet sich mit Hilfe von Erich auch in die Scheinwelt der Musik. Vor allem Bach mit seinen klaren Strukturen ist ihm eine große Hilfe bei der Bewältigung der Trostlosigkeit seiner Situation.

Rumänien macht aktuell wieder Schlagzeilen. Fast 30 Jahre nach dem Ende des kommunistischen Regimes, das die Chance zu einem Neuanfang geboten hatte, sind die Schatten des kommunistischen Regimes  aktuell  wieder deutlich zu fühlen. Nicht nur, aber auch in Rumänien gibt es wieder Menschen, die einfache Rezepte für komplexe Lebensumstände suchen. Unter anderem auch deshalb, weil  eine Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit nie  stattgefunden hatte. Privatpersonen wie die Schriftsteller Ana Blandiana und deren Ehemann Romulus Rusan haben  ohne staatliche Hilfe in einem der schlimmsten Securitate-Gefängnisse in Sighet  eine Gedenkstätte errichtet, um da exemplarisch an die Greueltaten  des Regimes zu erinnern. In Schule, Politik und Gesellschaft ist diese Diskussion kaum angekommen. Umso wichtiger auch jetzt noch nach so vielen Jahren das „Nichtschweigen“ über die Vorkommnisse. Eva Filip hat aus den Erlebnissen eines Überlebenden einen spannenden,  atemberaubend schonungslosen Roman gemacht, der  – trotz aller Niederungen menschlicher Existenz, die einprägsam geschildert werden –   den Glauben an die Werte von  Bildung, Humanismus und Zivilisation aufrecht erhält.

 

Vielen Dank an Halrun Reinholz für den Artikel.

Das Buch kann im Buchhandel oder auf Online-Plattformen bestellt werden.

Eva Filip: Nicht schweigen. Im rumänischen Gulag. Berlin: KLAK Verlag, 2018. 344 Seiten
ISBN 978-3-943767-89-6, Preis: € 16,90